Vierstimmig: Kopfgeburten

16.09. – 16.10.16

„Kopfgeburt“ verbinden wir mit etwas, was nur in der Vorstellung vorhanden, also erdacht ist, was also mit der Wirklichkeit nicht übereinstimmt. Sinnverwandte Ausdrücke wie Fantasie, Illusion, Fiktion, Hirngespinst, Trugbild und Utopie weisen auf den Bedeutungsumfang hin. Nimmt man die Kopfgeburt – nicht nur als Künstler – wörtlich, so ist der Kopf der Ursprung, der Entstehungsort eben der Fantasie, der Vision und der Utopie – genau dessen also, was uns vorantreibt, was uns inspiriert, was uns bewegt und beweglich hält. Ausdruck all dessen ist das Kunstwerk.

Mit Markus Daum/Radolfzell, Madeleine Heublein/Leipzig, Max Uhlig/Dresden und Raimund Wäschle/Waldburg sind vier herausragende Vertreter der Radierung zu sehen. Sie zeigen, was Gedanken (auslösen) können, was die Fantasie ausmalen kann. Diese Ausstellung kommt mit freundlicher Unterstützung der Hölderlin-Gesellschaft Tübingen zustande.

Markus Daum: In seinem Werk umkreist Markus Daum die Existenz des Menschen, den Kreislauf von Werden und Vergehen. Anschaulich wird dies in seiner Auseinandersetzung mit dem menschlichen Körper, den er sowohl bildhauerisch als auch grafisch darstellt. In seinen Figuren, die stets als Zeichen, als Träger von Bedeutung präsentsind, geht es ihm um den Menschen als Ganzes, sein Fühlen, Denken und Handeln. So ist in seinen zahlreichen Radierfolgen das Kopfmotiv allgegenwärtig – der Kopf nicht nur als Körperfragment, sondern als Sitz von Bewusstsein und Vorstellung, als Zentrum des Denkens und Fühlens. Fragmentarisch meist nur angedeutet, eröffnen seine Sinn-Bilder reiche Assoziationsmöglichkeiten – sie lassen den Betrachter über die Verletzlichkeit des Menschen und die Endlichkeit seiner Existenz nachdenken.

Madeleine Heublein, eine Leipziger Künstlerin, steht in der zeichnerischen Tradition dieser Stadt, dem grüblerischen wie wachen Reagieren auf Zeitströme, den Verbindungen hin zu Literatur und Mythologie und hat es geschafft, dieser Tradition ihre eigene Stimme beizumischen. Ein eigenwilliges Werk, das Bilder innerer Auseinandersetzungen vor uns hinstellt, uns konfrontiert mit Verheißungen wie Gefahren, Hoffnungen wie Abstürzen, nie platt oder moralisierend. Ein Werk, das durch eine Art Hintergrundschwingung, die latent die Malereien, Grafiken und Zeichnungen durchzieht, unruhig macht. (Dr. Ina Gille)
Das Gesamtwerk von Max Uhlig nimmt im künstlerischen Erbe der DDR eine Sonderstellung ein, hatte er doch gegen äußere Widerstände und jenseits der offiziellen Kunstpolitik eine eigenständige und unverwechselbare Ausdrucksform entwickelt. Ende der 70er Jahre wurde man im Westen auf Uhlig aufmerksam, Bilder von ihm haben heute in den Graphischen Sammlungen in New York (Metropolitan), Wien (Albertina), London (Tate Gallery) längst ihren Platz erobert. Uhligs Porträts sind, wo immer man ihnen begegnet, sofort als seine Arbeiten erkennbar: Sie leben aus den subtilen und variablen Qualitäten der Linie, die von jeder darstellenden Funktionalität bzw. von narrativen Bezügen befreit ist. In einem Energie geladenen Akt der Formfindung entsteht ein Netzwerk von sich durchdringenden bzw. überlagernden Spuren, so dass sich ein differenziertes Spiel von Dichte und Transparenz ergibt. Uhligs Gesichter stehen für sich, wollen unter den zahlreichen Pinselstrichen entdeckt sein.

Zeichnend, malend und radierend setzt Raimund Wäschle die menschliche Figuration in äußerster Verdichtung und auf elementare Chiffren reduziert ins Bild. In seiner unverwechselbaren Zeichensprache greift er extreme Situationen individueller und kollektiver Existenz auf und transformiert sie auf der bildnerischen Ebene zu Mahnmalen der Gefährdung und des Gebrochenseins. Expressive Gestik mischt sich darin mit meditativ Tiefgründigem. So bringt er exemplarisch Gegenwartsbezogenes und Zeitloses künstlerisch ebenso einfühlsam wie schonungslos zu kraftvollem Ausdruck. (Anton Schmid)

PK